Brauchen

Die Kraft der lebensdienlichen Bedürfnisse wiederentdecken

Der dritte Teil der Gewaltfreien Kommunikation, Die Bedürfnisse, sind für die meisten von uns eine ungenutzte Kraftquelle. Mit dem Begriff "Bedürfnis" assoziieren manche Bedürftigkeit oder Abhängigkeit, das ist nicht gemeint. Im englischen Original benutzt Marshall Rosenberg den Begriff "needs", der auch so etwas bedeutet wie Bedarf, Anforderungen oder Notwendigkeiten. Es geht um nicht weniger als das, was das Leben braucht, um sich zu entwickeln.

Bedürfnisse im Sinne der gewaltfreien Kommunikation sind also die Bedürfnisse unseres wahren Wesens. Sie sind in uns allen lebendig. Es ist das, wonach wir uns sehnen. Es ist das, was wir brauchen um erfüllt und mit anderen partnerschaftlich verbunden leben zu können. Es ist das, was wir zu geben haben, wenn wir diese Quelle in uns erschließen. Und es ist das, was die menschliche Spezies braucht, um das derzeit vorherrschende selbstzerstörerische Verhalten umzuwandeln in ein Handeln, das dem Erhalt und der Entwicklung des Lebens dient.

  • Da sind z.B. Bedürfnisse unseres Körpers wie gesunde Nahrung, saubere Luft und Wasser, ein sicherer Schlafplatz, Körperkontakt, eine intakte Umwelt, Bewegung oder Sexualität.
  • Als Individuen und in Verbindung mit anderen haben wir Bedürfnisse wie Selbstbestimmtheit, Lernen, Integrität, Entwicklung, Kreativität, Autonomie, Freundschaft, Kooperation, Aufrichtigkeit, Nähe, Vertrauen, Mitgefühl. Wir wollen zur Bereicherung des Lebens beitragen, zusammen lachen und spielen, gemeinsam trauern.
  • Und wir haben spirituelle Bedürfnisse wie Frieden, Inspiration, Klarheit, Sinn, Liebe oder Verbundensein mit der Natur.

Ob wir uns der Tatsache bewusst sind oder nicht, diese Bedürfnisse sind der Antrieb für all unser Sprechen und Handeln. Die Rückverbindung mit den Bedürfnissen des jeweiligen Augenblicks ermöglicht uns, unsere Bedürfnisse als Quelle unseres Lebens anzuerkennen, sie anderen mitzuteilen und selbst für ihre Erfüllung zu sorgen.

Von Strategien und schmerzhaft unerfüllten Bedürfnissen

Strategien: Es gibt viele Dinge, die wir haben wollen, Ziele, die wir erreichen wollen und Verhaltensweisen, die wir als nützlich empfinden. Ein neues Auto kaufen, eine Familie gründen, für die Flüchtlinge aktiv sein, sich anpassen, ein Schritt auf der Karriereleiter, eine Auszeit nehmen, mit einem kühlem Bier vor dem Fernseher sitzen, einen Gerichtsprozess mit unserem Nachbarn anstrengen, gegen CETA demonstrieren, eine Mauer zu Mexiko bauen ... Das alles sind Strategien, mit denen wir versuchen, uns etwas Wichtiges zu erfüllen, wie z.B. Autonomie, Frieden, Entspannung, Entwicklung, Gemeinschaft, Gesundheit oder Zugehörigkeit.

Es ist nützlich, sich den Unterschied zwischen Strategien und wirklichen Bedürfnissen bewusst zu machen. So kann ich überprüfen, wie wirksam meine Strategien tatsächlich sind. Erfüllen sie mir meine Bedürfnisse? Auch langfristig? Bleibt etwas anderes auf der Strecke? Trägt das, was ich tue, dazu bei, dass auch für andere dieses Bedürfnis erfüllt wird?

Schmerzhaft unerfüllte Bedürfnisse: Wie schon bei den Gefühlen treffen wir auch in der Auseinandersetzung mit unseren tieferen Bedürfnissen wieder auf frühere Verletzungen. Damit wir uns als Kinder frei entwickeln können, uns selbst und die Welt entdecken können und all unsere angeborenen Fähigkeiten entfalten können, brauchen wir wenigstens eine Bezugsperson, die uns Liebe und Wärme gibt, die verlässlich unsere Gefühle beantwortet und unsere Bedürfnisse erfüllt, uns bedingungslos wertschätzt und uns einen Raum gibt, in dem wir auf eigene Faust uns selbst und die Welt erforschen können.

Die meisten von uns haben jedoch in ihrer Kindheit in mehr oder weniger großem Ausmaß einen Mangel an echter Liebe, Freiheit, Wertschätzung und Fürsorge erfahren oder auch Formen von körperlicher, seelischer und emotionaler Gewalt oder Missbrauch. Auch unseren Eltern und deren Eltern ist es nicht anders ergangen. Die Erfahrung irgendwie nicht richtig zu sein und uns anstrengen oder verbiegen zu müssen um angenommen zu werden sitzt uns allen tief in den Knochen. Wir sind es gewohnt, diese schmerzhaften Erlebnisse zu verdrängen. Doch auf dem Weg zurück zu uns selbst und zu unseren wahren Bedürfnissen der Gegenwart kommen wir an den alten Erfahrungen nicht vorbei.

Hier ist es jetzt besonders wichtig zwischen gegenwärtigen Bedürfnissen und vergangenen Erfahrungen zu unterscheiden. Wir müssen uns selbst um die eigenen alten Verletzungen kümmern. (Siehe auch Selbstmitgefühl - In der eigenen Kraft sein) Es ist nicht möglich, die in der Kindheit so schmerzlich vermisste Wertschätzung, Aufmerksamkeit, Liebe, Achtung, Sicherheit, Respekt, das Wahren unserer Grenzen usw. heute von anderen zu bekommen, solange wir uns nicht selbst auf diese Weise begegnen.

Authentische Bedürfnisse der Gegenwart

Mit dem Verständnis, was Bedürfnisse eigentlich sind und in Selbstverantwortung für mein Wohlbefinden kann ich mir jetzt meine gegenwärtigen Bedürfnisse bewusst machen (An den Beispielen wird klar, dass es beim Schritt "Bedürfnisse" nicht unbedingt darum geht, das Bedürfnis auch namentlich zu benennen. Es geht darum, mit dem aktuellen Bedürfnis tief verbunden zu sein und sich aus dieser Energie heraus in der eigenen Herzenssprache auszudrücken.):

"Immer kommst du zu spät!" - "Du bist heute 45 Minuten nach der vereinbarten Zeit gekommen und hast mich nicht informiert. Ich bin ärgerlich, weil ich meine Zeit gerne sinnvoll nutzen möchte."

"Mein Chef informiert mich nie." - "Ich habe von meinem Chef keine Information über den neuen Termin erhalten. Das ist das dritte Mal in diesem Monat. Ich bin unsicher, weil ich keine Erklärung dafür habe. (= Bedürfnis nach Klarheit)"

"Ich vergesse immer alles." - "Ich habe meine Unterlagen zu Hause liegen lassen. Ich bedauere das, weil es mir wichtig ist, meinen Beitrag zu leisten."

"Dein Verhalten ist kriminell." - "Du hast mit einem Stein die Fensterscheibe eingeworfen. Ich bin erschrocken, weil mir achtsamer Umgang mit allem wichtig ist. Und ich bin ratlos wegen deinem Verhalten. (= Bedürfnis nach Verstehen)"

"Du bist ein braves Kind." - "Du hast gerade den Geschirrspüler ausgeräumt. Ich freue mich, weil ich heute so viel zu tun habe. (= Bedürfnis nach Unterstützung)"

"Donald Trump ist ein Idiot." - "Donald Trump möchte eine Mauer zu Mexiko bauen. Ich bin entsetzt, weil ich Gemeinschaft und Offenheit wichtig finde."

"Ich bin ein Versager." - "Heute habe ich die Kündigung für meine Arbeitsstelle erhalten. Ich habe Angst, weil ich im Moment nicht weiß, wie es weiter gehen soll. (= Bedürfnis nach einem Zuhörer, nach Mitgefühl)"

"Du ignorierst mich." - "Als ich heute nach Hause kam, hast du mich nicht angeschaut und nichts gesagt. Das war auch die letzten 5 Tage so. Ich bin enttäuscht, weil mir der Austausch mit dir wichtig ist."

"Mein Chef nützt mich aus." - "Mein Chef hat sich entschieden, mir keine Gehaltserhöhung zu geben. Ich bin frustriert, weil ich mich weitergebildet habe und in den letzten Monaten mehr Verantwortung übernommen habe. (= Bedürfnis nach Gleichgewicht im Geben und Nehmen)"

"Meine Frau droht mir mit Trennung." - "Meine Frau sagt, sie wird sich von mir trennen, wenn sich nichts ändert. Ich bin verzweifelt, weil ich nicht verstehe, worum es ihr geht und jedes Gespräch im Streit endet. (= Bedürfnis nach Verstehen und Verständigung)"

In Kontakt zu sein mit unseren lebendigen Bedürfnissen des Augenblicks erfahren wir als sehr heilsam für unseren Körper und für unsere Seele. Das Bedürfnis muss dabei nicht erfüllt sein. Denn aus der Verbundenheit selbst erwächst eine tiefe Freude an unserem eigenen Lebendigsein, egal wie es uns gerade geht. Wir finden dadurch unsere natürliche innere Haltung wieder, für diese Lebendigkeit in uns und anderen Sorge zu tragen. Und wir entwickeln den Mut, verantwortungsbewusst für uns selbst, für die Gemeinschaft und für die Erde zu handeln. Und das führt uns direkt zum 4. Schritt der Gewaltfreien Kommunikation, dem Handeln: 4. Schritt der GfK - Handeln

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Ausführlichere Infos zu mir und meiner Arbeit findest du auf der Webseite meiner Praxis: Praxis für Ganzheitliche Psychotherapie

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