Missverständnisse im Umgang mit der Gewaltfreien Kommunikation


Als ich im Jahr 2011 durch ein Buch das erste Mal mit der Gewaltfreien Kommunikation in Berührung gekommen bin, war da auf Anhieb eine starke Resonanz in mir. Es war ein bisschen wie nach Hause kommen. Endlich hatte ich einen Weg gefunden, wie ich wieder Zugang zu mir selbst und zu meiner eigenen Wahrheit finden konnte, die ich irgendwo ganz tief in mir weggesperrt hatte.

Voller Zuversicht meldete ich mich zu einem Einführungsseminar an. Schon am ersten Kurstag war ich ziemlich irritiert: Das ist doch keine gewaltfreie Kommunikation, was hier gelehrt wird, dachte ich und sagte ich auch. Ich wollte nicht belehrt werden und mir irgendwelche Wort- und Satzhülsen aneignen. Eigentlich hatte ich das tiefe Bedürfnis nach aufrichtiger Begegnung auf Augenhöhe und nach Verstehen von zwischenmenschlichen Konflikten. Doch stattdessen kam es zu einer fruchtlosen Auseinandersetzung mit dem Kursleiter und ich verließ das Seminar am nächsten Vormittag.

In den darauffolgenden Jahren habe ich mich intensiv mit der GfK auseinandergesetzt. Ich wollte ihrer Wirkungsweise auf die Spur kommen und gleichzeitig für mich klären, warum ich mit vielen Menschen in der GfK-Szene so meine Schwierigkeiten hatte. Ich las viele Bücher, besuchte Kurse bei verschiedenen Trainern und vor allem trainierte ich in meinem Alltag. Eine heftige Lebenskrise, die einen privaten und beruflichen Umbruch zur Folge hatte, gab mir dazu jede Menge Übungsmöglichkeiten.

Mit der Zeit haben sich für mich ein paar wesentliche Stolperstellen beim Lernen der Gewaltfreien Kommunikation herauskristallisiert:

Fehlende Augenhöhe:

Wenn wir die 4 Schritte der Gewaltfreien Kommunikation aus der überlegenen oder unterlegenen Position einer hierarchischen Beziehung heraus anwenden besteht die Gefahr, alte Denk- und Verhaltensmuster zu festigen. Das ist z.B. der Fall in Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern, Eltern und Kindern, Chef und Angestellte, Therapeut und Klient. Wir schaffen dann emotionale Abhängigkeiten, neue Arten von Manipulation oder wir orientieren uns wieder an einer Autorität im Außen statt mit unserer eigenen Wahrheit in Kontakt zu kommen, unser eigenes Urteil zu bilden und selbst die Verantwortung für unsere Gefühle und Bedürfnisse zu übernehmen. Es ist für mich ein wesentliches Element der GfK, dass wir lernen, anderen ebenbürtig zu begegnen, also von Mensch zu Mensch und von Herz zu Herz - unabhängig von unseren jeweiligen Rollen.

Nichtbeachten der Selbstverantwortung der anderen:

In Kursen für die GfK wird oft geübt, sich in andere einzufühlen. Dann raten wir, was der andere wohl fühlen und brauchen könnte. An sich ist daran auch nichts verkehrt. Doch wir können immer nur Vermutungen anstellen. Außerdem besteht die Gefahr, dass ich plötzlich Verantwortung für das Wohlbefinden des anderen übernehme, wo ich keine habe: Jeder kann lernen sich selbst besser wahrzunehmen. Herauszufinden, was andere fühlen und brauchen und dafür Sorge zu tragen ist der Job der anderen und nicht meiner. Jeder darf/muss/kann/will lernen, für sich selbst zu sprechen.

Anderen empathisch zuzuhören ist natürlich auch Teil der Gewaltfreien Kommunikation. Ich glaube jedoch, dass ich das nicht trainieren oder tun kann. Diese Fähigkeit entwickelt sich unterwegs von selbst. Je mehr ich in der Lage bin, wahrzunehmen statt zu urteilen und je mehr ich meine eigenen Gefühle und Bedürfnisse spüre und zum Ausdruck bringe, desto mehr schaffe ich eine Atmosphäre, in der andere sich sicher fühlen, bereit sind, sich zu öffnen und selbst mitteilen, was in ihnen lebendig ist.

Sprachliche Vorgaben statt Selbstausdruck:

In manchen GfK-Kursen wird trainiert, sich konsequent in den 4 Schritten auszudrücken. Alles, was andere sagen, wird in Gefühle und Bedürfnisse übersetzt. Und manchmal werden ganze Sätze vorgegeben wie z.B. "Bist du bereit zu wiederholen, was du von mir gehört hast?". Das ist für mich ein Widerspruch: Wir können nicht die Sprache unseres Herzens und unsere eigene Wahrheit wiederfinden, uns aufrichtig und authentisch ausdrücken und gleichzeitig bestimmte sprachliche Vorgaben einhalten.

Und meiner Meinung nach ist das auch nicht notwendig. Wenn wir uns selbst wirklich wahrnehmen und uns klar und offen mitteilen, dann verstehen wir uns gegenseitig auf intuitive Weise, egal welche Worte wir verwenden. Und manchmal verstehen wir uns nicht. Dann helfen auch die korrektesten GfK-Sätze nicht weiter.

Wolf und Giraffe:

Ein ähnliches Problem habe ich mit dem Modell von Wolf und Giraffe. Marshall Rosenberg hat mit Giraffensprache die offene, aufrichtige Selbstmitteilung bezeichnet, Wolfsprache nannte er die Sprache und innere Haltung, die mit Druck, Schuld, Vorwürfen, Forderungen usw. arbeitet. Das Bild von Wolf und Giraffe wird in vielen verschiedenen Zusammenhängen verwendet.

Ich persönlich mag das Modell von Giraffe und Wolf nicht so sehr und arbeite auch nicht damit. Für mich ist die Gefahr zu groß, dass hier ein Missverständnis entsteht: Giraffe = richtig bzw. gut und Wolf = falsch bzw. böse. Viele von uns trauen sich nicht ihre Wut oder ihren Ärger zu fühlen und schon gar nicht ihn auszudrücken. Und durch das Bild von Wolf und Giraffe wird diese Tendenz bei vielen verstärkt. Um klar und aufrichtig mit anderen zu kommunizieren und entschlossen zu handeln brauche ich auch eine gute Verbindung zu meiner Wutkraft.

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